Was ist Tremere Spiel für mich
Vampire zu spielen birgt im allgemeinen schon seine Hürden, doch darüber haben schon viele andere vor mir geschrieben, daher fasse ich mich kurz.
Vampire sollte man nicht spielen, wenn man der Held der strahlenden Rüstung sein will. Natürlich gibt es viele "Gegner", die unsere Rollen "besiegen" können. Es gibt Ämter und Titel zu gewinnen, Macht zu erlangen... und letztlich werden wir verlieren. Denn beim Vampire sind unsere "Gegner" keine NSCs und auch keine anderen Spieler, sondern wir selbst. Wir sind die Bösen, die Monster, die Tiere. Wer sich für Vampire unter all den vielen Rollenspielmöglichkeiten entscheidet, der sollte in irgendeiner Form Spaß daran haben, zu versagen. Wir spielen Wesen, denen das Wichtigste (unser menschliches Dasein) unwiederbringlich genommen wurde und egal wie gut wir "den Plot" lösen, für unsere Rollen wird es keine Erlösung geben.
Sich als Neuspieler mit der komplexen vampirischen Welt auseinander zu setzen dauert etwas Zeit und dennoch werden die meisten auf ihren ersten Spieleabenden froh sein, wenn sie den Gesprächen einigermaßen folgen können und nicht zuu viele Fehler machen. Wann stelle ich mich wem wie vor? Mit wem darf ich reden? Was darf ich erzählen? Und was zur Hölle soll ich machen?
Sollte man sich entschieden haben, einen Tremere darzustellen, wird alles ungleich komplexer.
Tremere haben für so ziemlich jeden belang eine Extrawurst. Wir haben eine andere Entstehungsgeschichte, wir haben eigene Hierarchien (natürlich inklusive eigener Titel, Ämter und Ränge), eigene Gesetze und außerdem sind unsere vampirischen Fähigkeiten dank der Thaumaturgie sehr viel komplexer.
Letztlich fehlen noch zwei wichtige Punkte: dank unserer Hierarchien passiert es immer wieder, dass wir in normalen Spielsituationen an Domänenabenden in Rollenkonflikte geraten, da die Anforderungen, die unser Tremere Vorgesetzter an uns hat und die Anforderungen, die irgendein Weisungsbefugter aus der Domäne an uns hat sich nicht nur irgendwie widersprechen sondern sogar so aufgestellt sind, dass man auf jeden Fall etwas falsch machen wird. Zu beachten ist dabei, dass ich eigene Ziele und Wünsche des Charakters noch nicht erwähnt habe, die vielleicht noch ein weiterer Impuls in eine ganz andere Richtung mit einbringt.
Und der zweite Punkt ist der wichtigste: Wir sprechen nicht über all unsere kleinen und großen Besonderheiten.
Wir sind ein bisschen wie die NSA der Vampirgesellschaft und innerhalb der NSA mag niemand Edward Snowden.
Haus und Clan wird deshalb respektiert und gefürchtet, weil niemand so genau weiß, was wir eigentlich können und wie wir eigentlich aufgebaut sind. Ähnlich wie bei der NSA. Natürlich hat H&C ein Interesse daran diese Macht- und Respektsposition aufrecht zu erhalten. Entsprechend scharf wird gegen hyperkommunikative Clansmitglieder vorgegangen.
Für den Spieler bedeutet das, dass es noch sehr viel mehr Fehler gibt, die man machen kann. Und jeder wird Fehler machen. Es ist definitiv nicht einfach in eine Rolle zu schlüpfen und diese in allen Situationen überzeugend zu spielen. Als Tremere spielt man aber letztlich immer zwei Rollen: den Tremere, der ein Teil der Camarillagesellschaft ist, die dortigen Sitten und Gebräuche kennt (sonst wäre er ja niemals freigesprochen worden) und den Tremere als kleines Rädchen in der Tremere Hierarchie. Innerhalb der Camarillagesellschaft muss ein Tremere einen ganzes Set an Vokabeln, die er für das clansinterne Spiel gelernt hat, komplett ausblenden. Begriffe wie seinen Adeptenrang, das Gildehaus, Rituale etc sind tabu in der offenen Gesellschaft. Während es auf der andren Seiten sein kann, dass du in der Camarillagesellschaft eine respektierte Persönlichkeit bist und innerhalb des Clans dennoch als Fußabtreter genutzt wirst, weil du im Bereich der Thaumaturgie vielleicht einfach.... nicht so besonders gut bist. Der Charakter wird natürlich versuchen sein Verhalten insofern zu optimieren, als dass er in beiden Rollen gewinnt, aber häufig ist das nicht möglich und nie ist es einfach.
Für die meisten bedeutet Teil, einer Hierarchie sein, regelmäßig buckeln zu müssen. Und auch wenn man in der Hierarchie nicht mehr ganz unten steht (und dann selbst bei jeder sich bietenden Gelegenheit nach unten tritt), wird es doch immer jemanden geben, der über einem steht, vor dem man kriechen muss. Und das schlimme: je höher man oben steht, desto eher wird man für die Fehler der Untergebenen verantwortlich gemacht. Aufstieg bedeutet also nicht, mehr Freiheiten, sondern mehr Verbindlichkeiten.
Und zuletzt die Thaumaturgie. Wer kein Interesse an verschwurbelten und ausufernden magietheoretischen Diskussionen hat, sollte nochmal darüber nachdenken, ob das Tremerespiel wirklich das richtige ist. Auch sollte jeder mal früher oder später Rituale auch durchführen. Aufgrund unserer Verschwiegenheitspflicht, machen wir das für gewöhnlich nur unter anderen Tremerespielern, unter denen sich meist doch ein paar erfahrene Magierdarsteller finden. Sich das eigene Ritual von erfahrenen Ritualisten zerpflücken zu lassen, erfordert eine gewisse Selbstsicherheit... oder einfach ein dickes Fell.
So. Warum sollte dann überhaupt jemand Tremere spielen wollten, wenn man ständig Gefahr läuft, immer alles falsch zu machen?
Zunächst einmal gibt es die Gefahr des Versagens in jedem anderen Clan auch. Bei Haus und Clan nur etwas stärker. Zum anderen kann Haus und Clan auch einiges bieten.
Durch regelmäßige Gildehausspiele lernt man seine Clansbrüder und -schwestern besser kennen, wodurch sich tatsächlich ein "Wir"-Gefühl einstellen kann.
Auf diesen Gildehausspielen besprechen wir Ereignisse in unserer und anderen Domänen, wodurch man an den Domänenabenden recht schnell ins Spiel kommt und das Gefühl hat, mitreden zu können und auch tatsächlich versteht worum es geht.
Durch die Hierarchie und durch die bespielten direkten Vorgesetzten bekommt man regelmäßig Aufträge, die dazu führen, dass man einen Domänenabend mit einer To-Do-List betritt und idealerweise den ganzen Abend beschäftigt ist. Man kann auf andere zugehen, das Gespräch suchen und dabei tatsächlich etwas zu sagen haben und nicht nur ein Smal-Talk Gespräch nach dem anderen zu führen auf der Suche nach etwas Interessantem. Erfahrenere Vampirespieler oder vermutlich auch jene mit älteren und besser verknüpften Charakteren kennen dieses Problem eher weniger, aber als Neuspieler passiert es häufiger, das man sich im Raum umschaut und sich denkt "Jaaa... und jetzt?"
Ein weiterer Vorteil der Hierarchie ist, dass man theoretisch immer jemanden hat, den man um Rat fragen kann oder an den man Aufgaben delegieren kann. Natürlich abhängig vom Verhältnis der Personen zueinander.
Dann möchte ich an dieser Stelle noch einen Punkt aufgreifen, den ich zuvor schon unter den Nachteilen genannt habe:
Diese vertrackte Situation, dass man immer mal wieder das unmögliche möglich machen soll, indem man die sich widersprechenden Befehle/Aufgaben von verschiedenen Leuten ausführen soll. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit zu versagen ungemein, aber anders ausgedrückt, erhöht es für dich auch einfach die Schwierigkeitsstufe. Bei der ein oder anderen Intrige ist es manchmal so einfach, die richtigen Dinge zu tun, dass es sich anfühlt, als würde man einem Baby den Lolli wegnehmen. Das ist doch langweilig. Aber seine eigenen Pläne umzusetzen, während man diverse andere Leute davon überzeugt, dass man alles nur in deren jeweiligen Interesse macht, kann dann doch mehr Spaß machen. Nicht zuletzt, weil es spannender wird, je höher das Risiko ist, dass jemand dein falsches Spiel durchschaut. Je mehr Personen von dir bestimmte Verhaltensweisen erwarten, desto herausfordernder wird es, diesen Erwartungen gerecht zu werden.
Und um nochmal zur Thaumaturgie zurück zu kommen: verschwurbelte, ausufernde Magietheoriediskussionen sind einfach großartig! Mit erwachsenen, aufgeklärten Menschen über fiktive Modelle der Welt zu diskutieren, bei denen wir uns OT alle einig sind, dass sie schlicht und einfach Bullshit sind, ist großartig!
Außerdem haben wir eine Plattform, wo wir regelmäßig Rituale durchführen können, die wir beliebig ausführlich planen können, unsere Ausrüstung zusammensammeln können und ausnahmsweise wird man dabei nicht von Orkhorden unterbrochen. Wenn man sich ungeschickt anstellt, ruft man vielleicht ein paar wütende Geister herbei, aber während mein Charakter so ein Missgeschick als große Schmach empfände, fände ich das super. Versagen kann nunmal wirklich viel Spaß machen.
A. Saar 2014
München